Barrierefrei und Responsive Webdesign schließen sich gegenseitig aus?
Kürzlich hörte ich die Aussage, dass die Website einer Firma deshalb nicht barrierefrei zu bekommen sei, weil der Fokus bei der Entwicklung auf Responsive Design gelegt wurde und nicht auf Barrierefreiheit. Beides zusammen geht nicht, sagt die Webagentur.
Das ist so „fetz‘ndeppat“, wie der Wiener sagt, dass man kaum weiß, ob man das noch als Unwissenheit bezeichnen und darüber lachen, sich verwundert am Kopf kratzen oder in landestypisches Granteln verfallen soll.
Oder seriös gesagt: Die Aussage ist grundlegend falsch. Genau das Gegenteil stimmt! Die Usability (Benutzerfreundlichkeit) und auch die Accessibility (Zugänglichkeit) sind heutzutage untrennbar mit dem „Responsive Design“, also vereinfacht gesagt der Mobiltauglichkeit der Website, verbunden.
Die unterschiedlichen Fachgebiete ergänzen sich sogar wunderbar. Ein Beispiel: Ein gutes Responsive Design Konzept ist im Sinne der Typografie „robust“. Schriftvergrößerung ist möglich, ohne dass Überlagerungen auftreten. Erfolgskriterium 1.4.4 der WCAG 2.0 (Resize text) sollte bei einem hochwertig umgesetzten Responsive Design kein Problem darstellen. Ein zweites Beispiel: Ein hoher Kontrast nützt auch dem Mobiluser, der im grellen Sonnenlicht auf einer Website die Telefonnummer, Öffnungszeiten, Adresse oder was auch immer sucht. Einiges hat sich sogar aus der Welt der Barrierefreiheit im Mobile-Design als Quasi-Standard etabliert, wie beispielsweise das Verhindern von automatisch startenden Videos und die Steuerbarkeit von Audio- und Video-Inhalten. Man kann User innerhalb weniger Sekunden von der Website dauerhaft vertreiben, hält man sich nicht an verschiedene Konventionen und lässt die Website gleich einmal „losbrüllen“.
Theoretisch kann man eine Website bauen, die der WCAG entspricht, also barrierefrei ist, aber nicht responsive gestaltet und umgesetzt wurde. Das kommt heute noch bei älteren Auftritten vor, als Responsive Design noch kein Thema war. Der umgekehrte Fall aber (also responsive aber nicht barrierefrei, wie oben angesprochen) ist leider sogar die Regel. Auf Mobilgeräte wird sehr oft Rücksicht genommen, auf Barrieren nicht.
Warum ist das so? Zum Teil Unwissenheit bei Einkäufern und Dienstleistern. Zum Teil ist es auch schlicht die Tatsache, dass Anbieter einfach behaupten, ihr Produkt sei barrierefrei und der Kunde hat angesichts des Super-Dumping-Preises lieber nicht nach Expertisen fragt. Oder aber meint, naja, Barrierefreiheit ist uns jetzt nicht soo wichtig.
Das ist aber in vielerlei Hinsicht dumm: Barrierefreiheit nutzt allen, und schon die beiden Begriffe „benutzerfreundlich“ und „zugänglich“, zeigen, dass das gerade auch auf Mobilgeräten notwendig und sinnvoll ist. Eigentlich in höherem Maße, denn eine schlechte Usability wirkt sich auf einem winzigen Bildschirm meist noch schlimmer aus als am Desktop. Ein klares Navigationskonzept, lesbare Inhalte mit guter Typografie, korrekte Rückmeldungen bei Formulareingaben – das alles ist mobil in noch höherem Maße notwendig als auf einem großen Monitor.
Auch die Relevanz wird oft unterschätzt: Der Anteil der mobilen Nutzer erreicht aktuell beinahe den der Desktop-Zugriffe. Nur auf Europa bezogen sind es über 47 % (Mobil und Tablet) zu 52 % Desktop (Quelle: Statcounter GlobalStats). Es kommt also jeder zweite nicht mehr mit einem klassischen PC oder Notebook daher sondern mit irgendeinem Mobilgerät unterschiedlichster Größe!
Alle Nutzer, sowohl Desktop als auch Mobil (diese oft umso mehr) und damit auch vor allem die Betreiber der Websites, profitieren von einer zugänglichen Website ebenso wie von Responsive Webdesign.