Eileen Heerdegen über "ihr" Wien im Hamburger Abendblatt
EILEEN HEERDEGEN, ehemalige Art-Directorin des Hamburger Schauspielhauses, betreibt seit 2005 mit einem Wiener Partner die Kreativ- Agentur Pixel Melange und pendelt seither zwischen Hamburg und Wien.
Einen Fährmann als Gestrandeten zu bezeichnen, klingt paradox. Robert, der letzte Betreiber einer kleinen Fußgängerfähre über den Donaukanal war so ein typisch Wiener Widerspruch. Tragischer Alkoholiker, aber auch echter Gentleman. Mit altmodischer Höflichkeit und dem Charme, den man gemeinhin den Wienern andichtet. Doch wer im Kaffeehaus einen Peter-Alexander-Ober erwartet, wird eher mit Hans Moser enttäuscht. So wie meine Mutter, die auf ihre Frage nach dem Inhalt einer Frittatensuppe nur ein „Frittaten san Frittaten“ entgegengeraunzt bekam. Der Wiener grantelt gern, und das in einer Sprache, die wenig vom Schmäh-Dialekt der Hellers und Falcos hat und für „die Piefke“ nicht immer leicht zu verstehen ist.
„Sanʼs deppert, S`ghern ja psychiatrisiert“ – O-Ton eines Disputs zwischen Fahrgästen in der Tram in Ottakring. Der 16., ein typischer Wiener Bezirk mit deutlichen Höhen und Tiefen. Aus dem urbanen Teil mit günstigen Mieten und Multi- Kulti-Flair führt die Straße stetig hinauf zu Weinbergen und Wienerwald, wo man mit viel Geld luxuriös wohnen kann. Viele Außenbezirke sind wunderschön und fast ländlich. Wenn in Nussdorf am warmen Sommerabend der Wirt echte Heurigenlieder zum Wein unter alten Reben serviert, dann erfährt man dort viel Herzlichkeit, die den Wiener eben auch auszeichnet.
Eine Postkarte kann nicht ausreichen, die spannenden Widersprüche dieser traumhaft schönen Stadt zu beschreiben. Wenn ich morgens durch den Stadtpark, vorbei an Johann Strauß, ins Büro in der Inneren Stadt gehe, bin ich immer noch überwältigt von der Schönheit der Ringstraße und der kleinen Gassen des 1. Bezirkes. Exorbitant hohe Mieten zahlt man hier, es gibt aber auch die Gemeindebauten des „roten“ Wien und manchmal ein Schnäppchen, wie unsere Agenturräume (www.pixel-melange.com), die zu einem efeuumwucherten barocken Innenhof in der legendären Schönlaterngasse liegen. Grün gibt es ansonsten für Hamburger ungewohnt wenig. Erklärung: Beide Städte haben ähnliche Einwohnerzahlen, Wien aber nur die halbe Fläche. Aber enge Gassen mit uraltem Pflaster haben ihren eigenen Reiz. Und wenn im späten Zwielicht Mozarts Requiem fast gruselig aus der Jesuitenkirche weht, braucht es dennoch nur wenige Schritte aus dem 17. Jahrhundert direkt in die Neuzeit. Etwa dort, wo jenseits des Donaukanals die alte Leopoldstadt mit Hypermodernem langsam zugemauert wird. Unten, zum Prater hin, gibt es jetzt eine Fußgängerbrücke und nur diese Postkarte erinnert noch an den ertrunkenen Fährmann Robert.
Hamburger Abendblatt, 31.12.2011
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